Agiles Prozessmanagement – Brauchen wir noch Prozesse?
Arbeiten wir jetzt alle agil?
Wer heute nicht „ädscheil“ ist, scheint von gestern zu sein. Agiles Denken hat so ziemlich jede Branche auf irgendeine Art und Weise beeinflusst. Ein Blick hinter die Agilitätswelle zeigt: „Agile“ ist zwar kein Allheilmittel, aber auch kein leeres Modewort.
Im Geschäftsprozessmanagement brauchen wir natürlich die klassisch bewährten Methoden. ABER – Agile Ansätze können in vielen Bereichen des Prozessmanagements nutzbringend eingesetzt werden und zur Ergänzung und Weiterentwicklung herkömmlich genutzter Methoden dienen. Wir erklären, wo agiles Prozessmanagement Chancen für Unternehmen bietet und wo klassisches Prozessmanagement seine Daseinsberechtigung hat.
Prozessmanagement erklärt
Das Prozessmanagement umfasst die Analyse, Organisation und Steuerung von Abläufen im Unternehmen. Das Ziel des Prozessmanagements ist es, Geschäftsabläufe zu optimieren. Prozessmanager identifizieren und dokumentieren dafür Prozessabläufe im Detail. Sie arbeiten sich tief ins Organisationsmanagement, um Potenziale und Verschwendungen zu finden.
Das PDCA-Zyklus beschreibt, wie klassische Managementprozesse optimiert werden. Mit dem Prinzip „Planen – Umsetzen – Überprüfen – Handeln/Verbessern“ folgt das Geschäftsprozessmanagement einem strukturierten Ansatz. Die klare Einteilung in Phasen ermöglicht es, durch Stabilität und Verlässlichkeit die Qualität eines Prozesses sicherzustellen. Das PDCA-Modell zeigt: Prozessmanagement ist die Kunst, wiederholbare Erfolge zu schaffen.
Was ist eigentlich ein Prozess? Ein Prozess ist eine Reihe von Aktivitäten und Abläufen, die einer bestimmten Regel folgen, um ein Ziel zu erreichen. Jeder Prozess hat einen Input (Zeit, Kosten und Ressourcen), der zu einem Output (Mehrwert für den Kunden) führt. Dieser Input-Output-Charakter macht Prozesse optimierbar. Mehr zum Prozess-Begriff
Neue Spielregeln für das Prozessmanagement – Digitalisierung ist voll VUCA
Globalisierung und Digitalisierung haben ein dynamisches Umfeld geschaffen, in dem Prozesse nicht immer im Detail durchgeplant werden können. Warum ist das so? Das VUCA-Modell bricht die Digitalisierung auf vier Aspekte herunter:
Mit dem VUCA-Modell haben wir eine Erklärung dafür, weshalb das klassische Prozessmanagement an seine Grenzen stößt. Wie sollen wir Prozesse planen und steuern, wenn die Rahmenbedingungen unbeständig, unsicher, hochkomplex und mehrdeutig sind? Das Prozessmanagement muss sich auf die VUCA-Welt einstellen.
Warum Agilität die Antwort auf die Digitalisierung ist
An anderer Stelle haben wir bereits die Frage aufgeworfen: Agiles Prozessmanagement – Ein Widerspruch in sich? Klassisches Prozessmanagement steht für detaillierte Planung, Struktur, Klarheit und Sicherheit. Wie beim Bogenschießen wird das Ziel in den Blick genommen und der Prozess durchgeführt – ohne viel Spielraum für Veränderungen.
Agilität steht dagegen für Offenheit, Flexibilität, Schnelligkeit und Anpassungsfähigkeit. Ein Prinzip des agilen Arbeitens besagt: „Reagieren auf Veränderung ist wichtiger als das Befolgen eines Plans“. Das bedeutet nicht, dass Planbarkeit keine Rolle in der agilen Philosophie spielt. Agilität verschiebt nur den Schwerpunkt, um digitalen Anforderungen gerecht zu werden.
Agile Prozesse sind feedbackgetrieben, d. h. sie leben vom Austausch im Team und mit Kunden. Anstatt ein Ziel von vorne bis hinten durchzuplanen, ist Agilität mit dem Golfspielen zu vergleichen. Der agile Manager arbeitet schrittweise (inkrementell) und wiederholend (iterativ). Der Weg ins Ziel wird an die sich verändernden Rahmenbedingungen angepasst.
Genau das zählt in der Digitalisierung: Agile Ansätze erlauben uns, bestimmte Prozesse anpassungsfähiger und individualisierbarer zu gestalten und zu steuern.
Der Fehlschluss des agilen Hypes
Agilität geht jedoch zu weit, wenn sie als Antwort für alle Fragen betrachtet wird. Die Digitalisierung betrifft uns alle, jedoch nicht auf dieselbe Art und Weise. In der Tat gibt es Prozesse, die von ihr unberührt bleiben oder die systematisch und strukturiert ausgeführt werden können. Ein Vorteil des klassischen Prozessmanagements ist die hohe Planungssicherheit. Wenn die Anforderungen der Prozessumgebung konstant sind und keine kurzfristigen Korrekturen erforderlich sind, sind klassische Prozessmanagement-Methoden erfolgreicher als agile.
Beispiel: Die Entwicklung eines iPhones ist agil, da neue Software-Features in Updates kontinuierlich hinzukommen. Das Kunden-Feedback dient als notwendige Ressource, um das iPhone stetig weiterzuentwickeln. Die Herstellung des iPhones ist jedoch ein Routineprozess im Sinne des klassischen Prozessmanagements. Auch wenn jedes Jahr mindestens ein neues iPhone veröffentlicht wird, wird für dieses Jahr dasselbe Produkt auf dieselbe Art und Weise produziert. Dieser Ablauf ist durchweg planbar und strukturierbar. Besonders in der Produktion und Logistik punktet das klassische Prozessmanagement.
Agiles Denken ersetzt klassisches Prozessmanagement also nicht, sondern ergänzt es. Prozessmanager sorgen nicht dafür, alle Prozesse agil zu machen. Die erste Aufgabe des agilen Prozessmanagements ist es, Prozesse im Unternehmen zu identifizieren, die sich für eine agile Herangehensweise eignen. Das Beispiel zeigt außerdem: In der Praxis finden wir Prozessorientierung und Agilität nie in Reinform. Gerade deshalb brauchen wir Prozesse und Agilität – auch in der digitalen Welt.
Wann soll agiles Prozessmanagement eingesetzt werden?
Die Frage, ob zum klassischen oder agilen Prozessmanagement gegriffen werden soll, beginnt mit der Analyse der Prozesslandschaft. Handelt es sich um stabile oder instabile Prozesse?
Ein Prozess ist stabil oder beherrscht, wenn das Prozessverhalten allgemein gleich bleibt und Veränderungen sich innerhalb bestimmter Grenzen befinden. Ein stabiler Prozess ist „statistisch unter Kontrolle“. Bei gleichem Input ist derselbe Output zu erwarten. Außnahmen sind lediglich zufällige Ursachen. Das klassische Prozessmanagement eignet sich für stabile Prozesse. Hier können best practices (bewährte Erfolgsrezepte) zur Prozessoptimierung entwickelt und eingesetzt werden.
Dort wo sich die Rahmenbedingungen für Prozesse kontinuierlich verändern oder sie zu komplex sind, ist der Griff zum agilen Prozessmanagement empfohlen. Wie beim Golfspielen wird hier das Ziel nicht mit dem ersten Input erreicht, sondern Schritt für Schritt erreicht. Agiles Prozessmanagement erlaubt damit eine Echtzeitsteuerung. Für die Praxis heißt das z. B.: Ein Prozessmanagement-Audit sollte öfter und kürzer durchgeführt werden und nicht nur einmal im Jahr. Im IT-Bereich und im Projektmanagement kennen wir das im Scrum-Framework als Sprint Review, der z. B. wöchentlich gehalten werden kann.
Agile Methoden und Tools im Prozessmanagement
Wir haben in einem anderen Artikel einen Überblick zu den wichtigsten agilen Methoden im Projektmanagement erstellt, die auch für das Prozessmanagement gelten:
- User Stories / Persona / Voice of Customer (VoC) / Story Boards
- Scrum
- Kanban
- Design Thinking
Schritt für Schritt zum agilen Prozessmanagement
In der Praxis treten jetzt die Fragen auf: Wie stelle ich fest, welche Prozesse in meinem Unternehmen stabil und welche instabil sind? Welche agilen oder klassischen Methoden eignen sich für mein Unternehmen? Welche Ansätze können miteinander kombiniert werden? Die Antworten sind abhängig von den individuellen Anforderungen im Unternehmen. Wir bieten eine Reihe von Seminaren an, die den Einstieg ins agile Prozessmanagement mit Hands-on-Tipps und Erfahrungen von Experten ermöglichen:
- Seminar Agiles Prozessmanagement: In diesem praktischen Überblicks-Seminar lernen Sie agiles Prozessmanagement von den Grundlagen bis zu konkreten Methoden wie Kaizen (KVP), Kanban und Design Thinking kennen. Das Seminar richtet sich an Fach- und Führungskräfte aus der Organisations- und Personalentwicklung, aus dem Prozess- und Qualitätsmanagement und dem IT-Bereich. Wir unterstützten Sie dabei, Ihre Prozesse in Bewegung setzen.
- Seminar Prozessmanagement: Sie interessieren sich für agiles Prozessmanagement, möchten aber die Basics auffrischen oder erlernen? In diesem lernen Sie alle theoretischen Werkzeuge des Geschäftsprozessmanagements kennen. Wie werden Ist-Prozesse visualisiert und analysiert? Wie werden Soll-Prozesse entwickelt? Wir schulen Sie darin, sich sicher durch die Welt des Prozessmanagements zu bewegen.
- Seminar Kanban in der Logistik: Die Kanban-Methode hat ihren Ursprung in der Logistik. Sie kann unentdeckte Potenziale in der Wertschöpfungskette offenbaren und Kosten vehement senken. Für Prozessverantwortliche aus Logistik- und Produktionsunternehmen eine echte Chance, auf ein neues Level zu steigen. Wir vermitteln Ihnen in diesem Seminar das nötige Wissen, um Kanban-Systeme gekonnt einzuführen.
- Seminar Kanban im Projektmanagement: Ein Vorteil der Kanban-Methode ist ihre Vielseitigkeit. Im Projektmanagement hilft der prozessorientierte Ansatz des Kanban, die Teamarbeit zu stärken. Kanban verdeutlicht Engpässe im Workflow und ermöglicht eine agile Aufgabenverteilung. In diesem Seminar richten wir uns an Projektleiter und Projektmitarbeiter, die die Prozessmethode Kanban einsetzen möchten.
Sie sind Privatperson und möchten sich zum Prozessmanager weiterbilden?
- Zertifizierter Prozessmanager / DGP: Facharbeiter und Akademiker lernen in unserer Weiterbildung über zwei Monate Grundlagen, Konzepte und Methoden des Prozessmanagements anwenden. Wie sieht der Alltag eines Prozessmanagers aus? Unsere Experten vermitteln fachübergreifendes Wissen im Risikomanagement, Qualitätsmanagement und Lean Management, das im Prozessmanagement unentbehrlich ist. Wir arbeiten eng mit der DGP Deutsche Gesellschaft für Prozessmanagement e. V. zusammen, um eine lebendige Weiterbildung mit maximalem Praxisbezug zu gewährleisten.
Bilder vom Wissensbrunch „Agiles Prozessmanagement – Brauchen wir noch Prozesse oder sind wir jetzt alle agil?“ in Berlin und Hamburg
In einer Zeit, in der Präsenzveranstaltungen noch zur Normalität gehörten, haben wir regelmäßig einen Wissensbrunch durchgeführt. Hier sind Bilder von zwei Veranstaltungen zu finden, in denen es viel zu lernen und zu lachen gab. Wir bedanken uns bei den Teilnehmenden für das Mitmachen und bei Dr. Kay Thormann für die Moderation und Umsetzung: